- eine Frage
- einen Denkanstoß
- eine Erkenntnis
- Diskussionsstoff
- (…)
Drei Beispiele für Ausstellungsgestaltung mit wirksamen Perspektivwechseln
Halle, Landesmuseum für Vorgeschichte
Hier, wo auch die berühmte Himmelsscheibe von Nebra präsentiert wird, findet sich ein besonders gutes Beispiel für eine gelungene Ausstellungsgestaltung, die nicht von uns stammt, aber in diesem Zusammenhang unbedingt erwähnt werden soll. In einem Ausstellungskapitel wird mittels Text und Illustration dargestellt, wie das Leben einer Neandertaler-Sippe an einem bestimmten Tag vor mehreren zehntausend Jahren ablief. Was erst einmal nüchtern klingt, wird hier auf eine sehr erfrischende, gut nachvollziehbare und begreifbare Weise dargestellt. Was hat der Ausstellungsgestalter gemacht? Es gibt Zeichnungen der Neandertaler-Sippe, bei Ihren täglichen Verrichtungen: baden, jagen, kochen, zusammen Zeit verbringen. Die detaillierten Zeichnungen erzeugten in mir einen engen Bezug. Ich fühlte mich ganz nah dran an der Szene, fast so als wäre ich selbst dabei. Was geschah genau 5:30 Uhr morgens vor 89.564 Jahren? Text und Bild sind grafische und begreifbare Interpretationen des Tagesablaufs einer Neandertalersippe. Die Wahl der Mittel erreicht, dass sich der Besucher hervorragend in die Geschichte hineinversetzen kann.Was geschah genau 5:30 Uhr morgens vor 89.564 Jahren? Text und Bild sind Interpretationen des Tagesablaufs einer Neandertalersippe. Die Wahl der Mittel erreicht, dass sich der Besucher hervorragend in die Geschichte hineinversetzen kann.
- Was mache ich eigentlich heute um 17:30 Uhr? Ich sitze noch auf Arbeit.
- Und was machten die Neandertaler um 17:30 Uhr? Auf den Bildern sieht man, dass sie Zeit haben. Für sich und ihre Familien. Offenbar lebten sie deutlich selbstbestimmter. Sie hatten deutlich mehr Zeit für ihre Familien.
Wirkung der Ausstellungsgestaltung auf mich
Ich verließ die Ausstellung mit neuen Gewissheiten und Erkenntnissen: Der Neandertaler führte natürlich ein einfaches Leben. Aber er hatten gleichzeitig große Freiräume, um den wir ihn aus heutiger Sicht nur beneiden können. Hier können Sie sich Ihren eigenen Perspektivwechsel abholen: Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle Di bis Fr: 9.00 –17.00 Uhr, Sa, So und Feiertage: 10.00–18.00 Uhr WebsitePorzellanwelten Leuchtenburg, Böttgers Hexenküche
Wir alle kennen Geschichts-Ausstellungen – Ausstellungen, bei denen vergangene Ereignisse und Entwicklungen anhand von Exponaten und historischen Abbildungen dargestellt werden. Bei der Ausstellungsgestaltung wird dabei häufig eine lineare Abfolge der historischen Geschehnisse von Anfang bis zum Endpunkt entwickelt und mit kausalen Verknüpfungen belegt. Im Falle der Porzellan-Ausstellung auf der Leuchtenburg hätte das bedeutet, dass Böttgers Hexenküche in der hinlänglich bekannten historischen Darstellungen gezeigt worden wäre, wie er das chinesische Porzellan auf der Albrechtsburg für Europa „nach-erfand“. Die Porzellan-Ausstellung auf der Leuchtenburg sollte aber auf keinen Fall eine „normale“ Geschichts-Ausstellung werden. Daher gingen wir bei der Ausstellungsgestaltung einen radikal anderen Weg. Mit dem Auftraggeber beschlossen wir, die Ausstellungsbesucher einen engen Anteil an der großen Leistung Böttgers nehmen zu lassen. Denn Böttger und sein Team lösten eine Gleichung mit mehreren Unbekannten. Sie experimentierten mit:- den Ingredienzien der Porzellanherstellung (Frage: „Welche Ingredienzien werden benötigt?“),
- mit den Mengen dieser Stoffe (Frage: „Was ist das richtige Mischungsverhältnis?“) und
- dem Brennprozess selbst (Frage: „Wie lange und wie heiß müssen die Stoffe gebrannt werden?“).
Porzellanerfindung für Jedermann in „Böttgers Werkstatt“ auf der Leuchtenburg.
Das richtige Verhältnis der Porzellangrundstoffe kann an einer Balkenwaage ermittelt werden.
Sie möchten das selbst erleben? Hier geht es:
Porzellanwelten Leuchtenburg
Leuchtenburg in Seitenroda bei Jena
Täglich 9:00 bis 19:00 Uhr (April – Oktober), 10:00 bis 17:00 Uhr (November – März)
Website
Erfurt, Gedenkstätte Andreasstraße
Wie lebte es sich in der DDR? Diese Frage stand am Anfang unserer Konzeption der Ausstellungsgestaltung für die Gedenkstätte in der ehemaligen Stasi-Untersuchungshaftanstalt in Erfurt.
Und warum wurde man Insasse der Haftanstalt?
Die Gründe unterschieden sich deutlich von heutigen Haftgründen. Denn es passierte schnell, dass man mit „dem System“ in Konflikt geriet:
- Du willst nicht in die FDJ eintreten?
- Du willst nicht in die Partei eintreten?
- Warum gehst Du in die Kirche?
- Was hast Du gegen Stalin?
Immer wieder wurden die DDR-Bürger nach ihren Haltungen befragt. Eine „falsche“ oder zum Zeitpunkt unpassende oder eine „unangepasste“ Antwort konnte die persönlichen Entfaltungsmöglichkeiten enorm verringern.
Für einige führte der Weg dann in die Haftanstalt „Andreasstraße“.
Was bedeutete es, in der DDR zu leben? Und was ist heute anders? Die Verbindung dieser beiden Fragen war für uns der zentrale Schlüssel für die Konzeption der Ausstellungsgestaltung. Ziel war es, die Lebenswege von Insassen nachzuzeichnen, die in die Untersuchungshaftanstalt Erfurt führten.
Dazu illustrieren wir das Leben in der DDR, die Menschen und ihre Entscheidungssituationen. Gemeinsam mit den Kuratoren entwickelten wir idealtypische, verdichtete Biografien und ließen diese in einer Graphic Novel interagieren.
Zum Beispiel die Kunststudentin, die in den 70er-Jahren nicht abstrakt zeichnen durfte und vor die Wahl gestellt wurde: Entweder sie produzieren „richtige“ Kunst oder sie bekommen keinen Zugang zum Künstlerbund – das endgültige Ende der Künstlerkarriere.
Die Entscheidungen, vor denen die Personen in der Graphic Novel stehen, muss in der Ausstellung der Besucher treffen: er kann für die Personen „Weichen stellen“ und anschließend ihr Schicksal weiterverfolgen.
Anpassung oder Eigensinn? In der Ausstellung treffen die Besucher die Entscheidung für die Personen in der Graphic Novel.
Indem die Besucher die Weichen stellen, beantworten sie sich die Frage: „Wie hätte ich entschieden?“.
Damit gelingt durch die Ausstellungsgestaltung der wichtigste und wirkungsvollste Perspektivwechsel: Der Besucher überlegt, wie er gehandelt hätte. Er vergleicht das Leben eines anderen mit seinem eigenen.
Hier können Sie diesen Vergleich selbst ziehen:
Gedenk- und Bildungsstätte Andreasstraße, Erfurt
Dienstag, Donnerstag 12–20 Uhr, Freitag, Samstag, Sonn- und Feiertage 10–18 Uhr
Website